Neologismenforschung

Neologismen sind allgemein neue Wörter, im weiteren Sinne zählen dazu auch Okkasionalismen (Einmal- und Gelegenheitsbildungen). Neue Wörter entstehen zumeist durch Wortbildung (Supermond, Männerschnupfen, Kinderunivorlesung), aber auch durch Fremdwortübernahme (Brexit, Wrap), Bedeutungsveränderung (divers für das dritte Geschlecht) oder, selten, Kunstwortbildung (Zalando, Froop, uuaah!).

Die Neologismenforschung der deutsche Sprache ist durch lexikographische Überrepräsentanz und unzureichende linguistische Auseinandersetzung gekennzeichnet im Gegensatz zur englisch- und französischsprachigen. Politisch motivierte Umstrukturierungen und Kürzungen schränken die Forschung an Universitäten ein und lagern sie auf außeruniversitäre Institutionen aus. So behandelt das IDS in Mannheim beispielsweise das Thema neue Wörter rein aus praktisch-lexikographischer Sicht, denn Ziel ist die Erstellung einer Plattform für Neologismen der deutschen Allgemeinsprache. Entsprechend beziehen sich die Fragestellungen sehr eng auf die Allgemeinsprache, auf Deskription und auf Wörterbuchpraxis. Die Neologismenlexikographie deckt jedoch erstens nur einen Teilbereich der Neologismenforschung ab, sie wird zweitens auch beeinflusst durch die zugrunde liegenden Fragen und Intentionen. So führt  das Ziel, zu sammeln und zu dokumentieren, zu deskriptiv orientierten Ergebnissen. Lexikographische Resultate aus wenigen Quellen werden außerdem einseitig verallgemeinert. Da Wörterbucheinträge auf Daten aus Zeitungen und Zeitschriften basieren, werden neue Wörter mit den Ergebnissen der Wörterbuchforschung gleichgesetzt und die Allgemeinsprache mit Zeitungsdeutsch.

Linguistische und lexikographische Meinungen und Vorgehen unterscheiden sich jedoch. Die Sichtweise hier ist lexikologisch und ergibt sich aus dem Wunsch, zu verstehen und nicht nur zu beschreiben. Das führt zu einer viel größeren Neologismenvielfalt, als es Wörterbücher oder andere rein deskriptive Sammlungen nahelegen. Dieses Projekt führt das Neologismenprojekt fort. Es möchte einerseits zeigen, wie wichtig es ist, aus lexikologischer Sicht andere Fragen, Themen und Zielsetzungen zu verfolgen, etwa zu Funktionsweisen neuer Wörter, Entstehungsgründen, Verbreitungswegen, individuellen Karrieren unter Einbezug soziolinguistischer und kognitiver Gesichtspunkte. Andererseits soll empirisch geprüft werden, ob Zeitungssprache mit Allgemeinsprache gleichgesetzt werden kann.

Verschiedene Fragen, die sich stellen, sind beispielsweise

   -   Wie beeinflussen Definitionen, Fragestellungen und Auswahlkriterien die  

        Datenerhebung, den Korpusaufbau, die Analyse und die Schlussfolgerungen?

   -   Wie und warum entstehen neue Wörter? Warum wird ein Okkasionalismus zum    

        Neologismus? Wann geht ein neues Wort wieder verloren? Von welchen wortinternen,

        sprachinternen und sprachexternen Faktoren hängt das ab?

   -   Welche Rolle spielen Varietäten, welche Unterschiede gibt es? Welche Faktoren führen

       zu unterschiedlicher Produktivität einzelner Wortbildungsarten und -elemente?

   -   Welche Rolle spielt das Individuum, die Situation, der Text, der Kontext, die

        Vergangenheit, die Aufgabe des Neologismus? Einzeluntersuchungen stellen bereits

        einige zusammen wie didaktische, unterhaltende, spielerische und lautsymbolische,

        kritische, persuasive Funktionen, Textsortenmarkierung, Spannungsabfuhr,

        Gemeinschaftspflege.

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass neue Wörter nicht nur neue Dinge benennen.


Die verschiedenen Ergebnisse können die Grundlagen für theoretische und empirische Ansätze und die Theoriebildung, auch sprachvergleichend, erweitern sowie unser Wissen um Sprachverarbeitung und Sprachwandel ergänzen und Zusammenhänge mit gesellschaftlichem Wandel offenbaren.